Ergänzungen zum NDR- Beitrag Cybermobbing

Am 21.10. um 22:45 Uhr gibt es im NDR einen spannenden Beitrag zum Thema Cybermobbing. Interviewt wurden unter anderem eine Vertreterin des „Bündnis gegen Cybermobbing“ und ich. Da ich mich im Interview kritisch mit der Cyberlife Studie (http://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/Studie/cybermobbingstudie.pdf) des Bündnisses auseinander setze, will ich hier nochmal meine wichtigsten Punkte niederschreiben.

1.      Die Finanzierung der Studie

Die Studie wird unterstützt von der ARAG Versicherung. Neben der Pressemeldung zu den Ergebnissen fand man einen Link, der zum Angebot der ARAG – bzw. zu deren Versicherungsangebot web@ktiv http://www.arag.de/webaktiv-mobbing/ verwies. Alle drei Erhebungen wurden außerdem von der COBUS Marktfoschungs GmbH durchgeführt. Uwe Leest, der Geschäftsführer dieser GmbH ist Vorstand des Vereins Bündnis gegen Cybermobbing.  Eine andere Vorstandsvorsitzende bietet auf ihrer Webseite Workshops und Elternabende zu hohen Honoraren an www.chatgewalt.de/Was%20wir%20Ihnen%20anbieten.html

Insgesamt entsteht so recht schnell der Eindruck, dass neben der Aufklärung über das Thema auch finanzielle Interessen eine Rolle spielen.

2.      Inhalt – Was ist Mobbing?

Zunächst einmal bleibt fest zu halten, dass es natürlich begrüßenswert ist, wenn das Thema tiefer erforscht wird. Die Studie bietet hier auch viele brauchbare Ergebnisse. Dennoch stört mich der Umgang mit dem Begriff Mobbing und den daraus resultierenden hohen Opferzahlen. Schauen wir uns die drei Teil-Studien etwas genauer an:

1.      Die Elternstudie

Auf Seite 25 wird erläutert, dass über 90% der Eltern den Begriff Cybermobbing kennen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie wirklich wissen was Cybermobbing ist, sondern eben nur, dass sie diesen Begriff kennen.

Auf Seite 26 lässt sich nachlesen:

„Auch ganz konkret ist dem weitaus überwiegenden Teil der Eltern (94,8%) bewusst, dass Kinder und Jugendliche Opfer von Cybermobbing werden, indem z.B. über Chatrooms, soziale Netzwerke, SchülerVZ, Facebook oder YouTube Gerüchte oder Lügen verbreitet oder peinliche bzw. intime Fotos veröffentlicht werden. Lediglich 4,9% bestreiten dies und 0,4% konnten hierzu keine Antwort geben (vgl. Abb. 10, rechtes Diagramm). Eltern schätzen, dass mehr als ein Drittel der Schüler als Opfer in Cybermobbing involviert sind.“

Hier findet keine Definition von Cybermobbing statt. Es wird lediglich nach dem Begriff gefragt, weshalb die Ergebnisse nicht aussagekräftig sind.

2.      Die Lehrerstudie

 In der Lehrerstudie wird der Begriff Cybermobbing nicht weiter erklärt. Es wird nach der Einschätzung von Betroffenenzahlen gefragt aber nicht erhoben, ob die Befragten überhaupt wissen wovon sie reden. Erfahrungsgemäß ist die allgemeine Definition, die bei Personen vorherrscht, die sich nicht näher mit dem Thema beschäftigt haben sehr weit gefasst. Unter Cybermobbing werden dann häufig schon einzelne Beleidigungen verstanden oder Streitgespräche, die online ausgeführt werden. Hinzu kommt der „normale“ Jugendliche Streit (oder Zickenkrieg) der zum Erwachsen werden dazu gehört. Dieser wird von Erwachsenen ebenfalls oft als Mobbingfall hoch stilisiert. Im Umkehrschluss gibt es Lehrer/-innen die erst sehr spät von Mobbing sprechen. Da dies nicht erhoben wurde, kann man mit den Zahlen wenig anfangen. Eine Differenzierung wäre hier hilfreich gewesen.  Falls eine solche nähere Aufschlüsselung des Begriffes stattfand, geht dies aus den Studienberichten nicht hervor.

3.      Schüler Studie

Auf Seite 94 der Studie wird dann das erste Mal nach der Form des Cybermobbings differenziert. In Abb. 80 werden die Art und Weise des Cybermobbings mit erhoben. Dazu gehören dann die folgenden Kategorien, auf die ich noch näher eingehen möchte.

  1. Beschimpft/ beleidigt

Würde man diese Frage bezogen auf „offline“ Mobbing stellen würden wir zu einer Betroffenenquote von 90-100% kommen. Beleidigungen müssen dauerhaft und von mehreren Personen auftreten um als Mobbing eingestuft zu werden.

2. Verbreitung von Lügen und Gerüchten

3. Lustig gemacht/ gehänselt

4. Unter Druck gesetzt/ erpresst / bedroht

Bei diesen drei Kategorien stimme ich den Studienerstellern zu, dass man hier recht häufig von Mobbing sprechen kann und auch aktiv werden sollte.

5. Ausgrenzung/Ablehnung von Kontaktanfragen

Auf Seite 96 heißt es:

„Ein probates Mittel, jemanden persönlich zu verletzen, ist die Ausgrenzung aus sozialen Räumen oder die Ablehnung von Kontaktanfragen. Wie in Abb. 80 zu sehen ist, fällt jeder vierte Vorfall in diese Kategorie“  (…) „Die Intensität reicht dabei von täglichen Attacken bis hin zu mehreren Attacken im Jahr.“

Es mag ein Mittel sein jemanden persönlich zu verletzten, aber es ist per se noch kein Mobbing wenn eine Kontaktanfrage abgelehnt wird. Diese Haltung halte ich für gefährlich, weil man so Jugendlichen beibringt, dass sie jeden  als Freund annehmen sollen. Man kann nicht einerseits kritisieren, dass Jugendliche so viele Freunde bei Facebook haben und andererseits das Ablehnen von Kontaktanfragen als Mobbing einstufen. Hier sollten wir Erwachsenen uns mal entscheiden 😉 Es ist gut, wenn Jugendliche ihre Grenzen kennen und nicht Jeden annehmen und Jeden in jede Gruppe lassen. Passiert dies natürlich systematisch- sprich wird jemand aus Klassengruppen ausgegrenzt, in denen sonst alle Mitglieder der Klasse sind, kann wiederrum von Mobbing gesprochen werden. Dies ist aber höchst selten der Fall.

6. Veröffentlichung von Fotos

Hier gilt es ebenfalls genau zu unterscheiden wer, wann und mit welcher Intention, diese Bilder online gestellt hat. Manchmal sind die Betroffenen mit involviert, weil sie selbst Fotos lustig finden- oder die Fotos werden nicht mit böser Absicht online gestellt, sondern weil sie jemand tatsächlich schön findet.

7.Verbreitung unangenehmer/ peinlicher Fotos/ Filme

Bei diesem Punkt sind wir uns wieder einig. Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Mobbingaktivität.

Täter und Opfer:

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Überraschung der Autoren darüber, dass mehr Personen eine Täterschaft eingestehen, als man Opfer findet. Dies liegt eigentlich klar auf der Hand, da es sich bei Mobbing um ein Gruppenphänomen handelt und auf jeden Mobbingbetroffenen mehrere Täter kommen. Dies spricht nicht für höhere Betroffenenzahlen als angenommen.

19% der Befragten waren selbst schon einmal Täter: Die Ergebnisse sind überraschend: Die Anzahl der selbst eingestandenen Täterschaft (19,1%) ist höher als die der Opfer (16,6%). Überraschend deshalb, da aufgrund des sogenannten „sozial erwünschten Antwortverhaltens“ die Annahme zugrunde liegt, dass diese Werte geringer sein müssten als die der Opfer. Im Umkehrschluss kann das aber auch bedeuten, dass die tatsächlichen Zahlen noch weitaus höher liegen (vgl. Abb. 86).“ S.98 Cyberlife Studie

Mobbingfolgen:

Auf Seite 100 kann man nachlesen, wie hoch die tatsächliche Betroffenenquote ist. Ein wichtiges Merkmal von Mobbing ist die Belastung der Betroffenen.

„Ein gutes Drittel (36%) gibt an, dadurch verängstigt worden zu sein. Etwa jeder Fünfte fühlte sich verletzt, wobei ähnlich viele berichten (22%), noch heute dadurch belastet zu sein und darunter zu leiden.“

Die 22% die dauerhaft belastet sind, sind die wirklichen Mobbingopfer um die man sich definitiv kümmern muss.

3.      Konsequenzen bei Panikmache

Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum ich diese Vorgehensweise so kritisiere – obwohl ich durchaus viele Aussagen in der Studie gut finde. Das liegt vor allem an folgenden Punkten:

Wird das Thema Cybermobbing überzogen und mit Angst besetzt, hat dies für Betroffene oder noch nicht Betroffene einige ernst zu nehmende Konsequenzen:

  1. Es kann passieren, dass man als Betroffener nicht mehr ernst genommen wird.
  2. Die Reaktionen auf Hilfesuchende können panisch werden, da von den Helfenden immer erst „das Schlimmste“ vermutet wird. So wird nicht mehr besonnen an das Thema herangegangen, sondern überzogen reagiert. Hierdurch können die Betroffenen noch mehr geschädigt werden.

Bsp.1 Ein Kind wird gemobbt und erzählt dies seinen Eltern. Diese reagieren sofort und wenden sich an die Direktorin/den Direktor der Schule, woraufhin weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Die Reaktion der anderen Schüler hierauf könnte sein, dass der Eindruck entsteht, die Person ist „zu recht“ Opfer geworden, da sie nicht mal in der Lage ist ihre Probleme selbst zu lösen.

Bsp.2 Die Eltern erfahren über die Medien wie gefährlich Cybermobbing ist und reagieren mit Internetverbot (um ihr Kind zu schützen). Daraufhin will das Kind die Onlinekommunikation mit seinen Freunden nicht abbrechen und reagiert mit gefährlichen Handlungen (Die beste Freundin bekommt das FB Passwort um Nachrichten zu beantworten. Die Internetnutzung findet nun heimlich statt und die Eltern werden nicht mehr informiert, wenn man in gefährliche Situationen kommt).

3. Das Bild der heutigen Jugend wird schwarz gezeichnet. Mit diesen hohen Zahlen und den mit dem Internet verbundenen Gefahren wird eine ganze Generation als enthemmt und gefährdet dargestellt.

4.      Cybermobbing- kein Problem?

Zum Schluss noch ein kurzes Fazit: Nein ich sage nicht, dass Onlinemobbing kein ernst zu nehmendes Problem ist. Es geht mir darum, Stellung für die junge Generation zu beziehen und klar zu machen, dass nicht alles „schlimm“ ist und wir keine enthemmte, gefährliche junge Generation haben. Was wir haben ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe uns den Konsequenzen der digitalen Medien zu stellen und einen vernünftigen Umgang damit zu finden. Dazu gehören Aufklärungsmaßnahmen, Kurse und vor allem ein umfassender Dialog über Werte und Normen und ihre Bedeutung für die digitale Welt. Denn es ist nicht alles neu, es ist nur anders. Die alten Regeln gelten nach wie vor „Wenn ich auf der Straße keinen verprügle, mach ich das auch nicht im Internet“ – und sei es „nur“ virtuell. Wir müssen lernen das Internet ernst zu nehmen und eben auch das, was dort passiert. Es sollte dort nicht mit anderen Maßstäben gemessen werden, wie offline. Aber genau dies tun wir leider noch viel zu häufig.

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