Im Netz –genauer bei Twitter- ist gerade eine heftige Diskussion um die EU Kids Online Befragungsergebnisse des Hans Bredow Instituts entstanden.
https://www.hans-bredow-institut.de/uploads/media/Publikationen/cms/media/s3lt3j7_EUKO_Bericht_DE_190917.pdf
Einen dort diskutierten Punkt möchte ich gerne gezielt herausgreifen: Auf Seite 48 der Studie heißt es:
Bedeutet dies nun tatsächlich, wie bei Twitter gefordert, dass Medienpädagogik ihre Profession überdenken muss, da es ja Aufgabe der Medienpädagogen ist, Medienkompetenz zu vermitteln und diese offensichtlich nicht vor negativen Erfahrungen schützt?
Nein – auf gar keinen Fall. Denn hier liegt eine häufige aber entscheidende Verwechslung vor. Kompetenz ist nicht gleich Kompetenz! Die in der Studie zu Grunde gelegten „Online-Kompetenzen“ beziehen sich auf das Model von Van Deursen, Helsper und Eynon (2014). Hierbei werden instrumentelle, informationsbezogene, soziale und kreative sowie gerätespezifische Kompetenzen berücksichtigt. In der Studie wird dies wie folgt abgefragt:
Instrumentelle Fähigkeiten: Foto abspeichern, Privatsphäreneinstellungen ändern
Informationsbezogene Fähigkeiten: geeignete Suchbegriffe finden, Wahrheitsgehalt überprüfen
Soziale Fähigkeiten: Wissen um Informationen, die man online teilt, Ich weiß wie ich Personen von meiner Kontaktliste entfernen kann
Kreative Fähigkeiten: Videos oder Musik machen, Inhalte von anderen bearbeiten
Gerätespezifische Fähigkeiten: Apps installieren, schauen ob man Geld in einer App ausgegeben hat, In App Käufe tätigen
Bei den aufgeführten Kompetenzen handelt es sich bis auf eine Ausnahme ausschließlich um reine Anwendungskompetenzen, die man früher wohl im EDV Unterricht gelernt hätte. Einziger Ausreißer: Ich weiß welche Informationen ich online teilen sollte und welche nicht.
Reine Anwendungskompetenzen sind nur ein ganz kleiner Teil von Medienkompetenz, der im medienpädagogischen Paradigma niemals losgelöst von ethischen und kritischen Aspekten gelehrt wird. Nimmt man das aktuell am häufigsten genutzte Modell von Medienkompetenz als Maßstab, fällt sofort auf, dass es sich bei den oben genannten Fähigkeiten nicht um Medienkompetenz als Ganzes handelt. Schorb unterteilt (nachzulesen in Grundbegriffe Medienpädagogik, KoPad Verlag) Medienkompetenz in Handeln, Wissen, Reflexion und Orientierung/Positionierung.
Hier nur mal der kleine Ausschnitt zur Reflexion:
Sofort wird deutlich: Der in der Studie genannte Kompetenzbegriff ist nicht deckungsgleich mit dem Kompetenzbegriff der Medienpädagogik. Dass die umfassende Vermittlung von Medienkompetenz auch dazu führt, dass Kinder mehr negative Erfahrungen machen, bezweifle ich stark. Dass sie dann eher in der Lage sind, negative Erfahrungen zu erkennen (Sensibilisierung) und passgenau zu handeln, wird eher die Folge sein.
Bei den in der Studie erhobenen Kompetenzen handelt es sich zudem um eine Selbsteinschätzung. Dieser Punkt ist für die Frage: Ich weiß welche Informationen ich online teilen sollte und welche nicht- relevant. Wie in der Studie auch festgestellt, sind nicht alle Kinder- und Jugendlichen gleich. Wie sich die Informationen, die man online teilt oder nicht dann wirklich zusammensetzen kann sehr unterschiedlich sein. Eine einheitliche Norm hierfür, die für alle anwendbar ist, gibt es nicht. Das heißt, dass zumindest aus Erwachsenensicht hier durchaus Teilnehmer*innen, die geantwortet haben, sie wüssten dies nicht, kompetenter erscheinen, als die, die die Frage bejaht haben. Eine wirkliche Einschätzung könnten nur die Profile der Betroffenen liefern.
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Nicht desto trotz ist es wichtig, sich die Struktur von Onlinewelten genauer anzuschauen und diese kind- und jugendgerecht zu gestalten. Denn trotz aller Fähigkeiten, sind diese (in der Regel) genau so wenig wie viele Erwachsene in der Lage, komplexe digitale Welten komplett zu durchschauen. Ansätze wie „Privacy by default“ sollten hier umgesetzt werden.